Über die Arbeiten von Petra Horn
Der Weg führt über einen weitläufigen Innenhof, durch eine unscheinbare Tür in ein schmuckloses Treppenhaus. Das Atelier von Petra Horn liegt am Ende eines langen Ganges im zweiten Stock des ehemaligen Postfuhramtes. Betritt man es, erlebt man eine Überraschung: Mitten im Raum stehen zwei eindrucksvolle Druckmaschinen mit mächtigen Stahlchassis, mit Kabeln und Leitungen. Das ist das erste, das man hier lernen kann: Selbstverständlich erledigt Petra Horn als Designerin viel Arbeit am Computer, aber was sie darüber hinaus tut und wie sie es tut, der von ihr so geschätzte Siebdruck zum Beispiel, das ist letztlich doch immer noch – im Wortsinn – ein Handwerk. Eine Tätigkeit, die mit den Händen vollzogen wird, mit echtem Material, echtem Papier, echter Leinwand. Und mit glänzender, zähflüssiger, nach echter Farbe riechender Farbe.
Als Gestalterin gibt sich Petra Horn nicht mit gängigen Lösungen zufrieden, und sie ist auch keine Frau für Kompromisse. Nicht, weil sie sich nicht für die Ideen Anderer begeistern kann. Im Gegenteil: Wie jeder freie Geist ist sie um Anregungen und Inspirationen immer dankbar. Doch wenn Kompromiss bedeutet, eines ihrer Konzepte zu verwässern, oder besser: durcheinander zu bringen, dann wird man mit Widerstand rechnen müssen. Das hat damit zu tun, dass es bei ihren Entwürfen eine Ordnung gibt. Diese Ordnung hat mit herkömmlichen Vorstellungen von Aufgeräumtheit, Leere, Übersichtlichkeit oder ähnlichem nichts gemein. Ordnung heisst hier Struktur, System, ist ein Ganzes, in dem sich sämtliche Einzelteile zwingend aufeinander beziehen.
Wenn Petra Horn ein Buch gestaltet – ihr Bildband über Barcelona ist ein gutes Beispiel –, dann mögen die einzelnen Seiten in ihrer Abfolge auf den ersten Blick vielleicht zufällig und wahllos zusammen gewürfelt erscheinen. Aber das sind sie natürlich nicht. Und sobald man genau hinschaut, merkt man das auch. So wie sie als Typographin genau weiß, wie sie Buchstaben auf eine Fläche setzen muss, damit diese eine eigene sinnhafte Einheit bilden und Emotionen transportierten, so hat sie neben dem Funktionalen als Bildgestalterin auch eine ausgeprägte Liebe fürs Formale, für optische Beziehungen und Entsprechungen. Ein entscheidender Bestandteil ihrer Arbeit besteht darin, einen ästhetischen roten Faden zu suchen, der sich mal offensichtlich, mal eher verborgen von der ersten bis zur letzten Seite durch ihr Werk zieht.
Diese spezielle Form der Systematik bedeutet nicht, dass im Schaffen von Petra Horn kein Platz für Zufälle wäre. Davon gibt es sogar ziemlich viele. Man kann es künstlerische Freiheit nennen; die Lust am Experiment, Freude an Überraschungen und Unwägbarkeiten. Aber sie weiß immer ganz genau – und damit wären wir wieder bei der speziellen Horn’schen Form der Systematik – wo die Unwägbarkeit und Spielerei ihren adäquaten Ort hat. Das betrifft das Schriftbild, und es betrifft auch die Hintergründe, wenn sie Buchstaben auf eine Fläche setzt. ”Das Wort löst sich”, schreibt der Kunstwissenschaftler Michael Glasmeier in einem Aufsatz über die Entstehung der Konkreten Poesie, ”auf dem umfassenden kommunikativen Prozess, den wir Sprache nennen. Es tritt heraus aus der Buchseite, aus der gesprochenen Rede heraus und zeigt sich in seiner singulären Materialität.” Dieser Rückbezug auf das Wort selbst als Modul der Sprache, konstatiert Glasmeier, ”schafft neue Möglichkeiten für die Poesie.” Oder wie der Künstler Timm Ulrichs es ausdrückt: ”Konkrete Poesie bringt Sprache exakt zur Sprache, nimmt Worte wortwörtlich beim Wort (& Bild), ist buchstäblich buchstäblich.”
Ähnlich könnte man die Methode beschreiben, in der Petra Horn mit Buchstaben, Worten, Sätzen umgeht. Das gleiche gilt für die von ihr gestalteten Flächen, auf denen die Buchstaben stehen, nur unter ganz anderen Vorzeichen. Während die Anordnung der Buchstaben exakt bestimmt wurde und fein austariert ist, ist der Hintergrund dagegen oft das Experimentierfeld, auf dem Farben unvermutete Nachbarschaften bilden, sich mischen und unkontrolliert ineinander laufen dürfen. Diese Kombination aus Präzision und Offenheit für das Unvorhergesehene ist charakteristisch für Petra Horns Arbeit. Wahrscheinlich nennt man so etwas Haltung.
Jedenfalls macht sie es sich (und anderen) damit nicht immer leicht. Es ist diese Hartnäckigkeit, dieses unbedingte Festhalten am Primat der Idee, das ihre Arbeit die Sphäre der Kunst berühren lässt. Sicher, die meisten ihrer Werke sind Auftragsarbeiten, die in einem konkreten Funktionszusammenhang stehen. Andererseits fügt sich Petra Horn nicht – wie es ein Gebrauchsgrafiker tun würde – in die Möglichkeiten ihres Mediums, sondern treibt diese Möglichkeiten nach ihren Vorstellungen an die Grenzen und manchmal auch darüber hinaus – ein untrügliches Merkmal für eine eindeutig künstlerische Herangehensweise.
So kann es auch nicht erstaunen, wenn man bei ihr eine ganze Reihe Parallelen zur zeitgenössischen Kunst entdeckt. Immer wieder verwischt sie die Linien, die Design von Kunst trennen. Einer ihrer Aufträge bestand in einer Serie von Siebdrucken, der sie den Titel Pars pro Toto gegeben hat. Auftraggeberin ist eine befreundete Agenturinhaberin, die ihren Kunden, aber auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Geschenk machen wollte. Und vorhatte, damit auch eine Botschaft zu verbinden. Die Pars pro Toto-Bilder setzen sich zusammen aus einem abstrakten Farbraum als Hintergrund und dem aus elegant sich verschränkenden Buchstaben gebildeten Titel als Schriftzug im Vordergrund. Nachdem Petra Horn die Bilder fertig gestellt hatte, zerriss sie diese in schmale Streifen. Danach wurden die Streifen als Einband für eine Aussendung als give away an die Empfänger verteilt. Man könnte das für ein Zerstörungswerk halten, immerhin gibt es nun die Bilder als Ganzes nicht mehr, es sei denn auf Fotos oder in der Erinnerung. Doch wurde bei der Aktion auch etwas gewonnen. Denn so darf sich nun jeder der Beschenkten als Teil fühlen, der für das Ganze steht. Immerhin hält er ein Original und Einzelstück in Händen. Das ist die Gratwanderung, die Petra Horn vollführt. Auf der einen Seite liegt der Nutzwert. Auf der anderen die Freiheit der Kunst.
Ulrich Clewing